Milchpolitischer Frühschoppen 2017

2017 als Jahr der Weichenstellung: Auf der Traditionsveranstaltung wurde wieder ein besonders breites Themenspektrum diskutiert – Branchenorganisation, Krisen-Hilfsmaßnahmen, Innovation, Export (Artikel: Molkerei-Industrie)

Der Vorsitzende des Milchindustrie-Verbandes, Peter Stahl, begrüßte die über 200 Teilnehmer des Milchpolitischen Frühschoppens.

Erneut war der vom Milchindustrie-Verband (MIV) traditionelle, im Umfeld der Grünen Woche in der „Bayerischen Botschaft“ in Berlin ausgerichtete Milchpolitische Frühschoppen bestens besucht. Was angesichts der aktuell vielen offenen Fragen zur Zukunft des Marktes und der Branche nicht überrascht hat. Um es vorwegzunehmen: mehr als eine Bestandsaufnahme konnte die Veranstaltung nicht leisten, denn viel zu viel ist im Moment seriös noch nicht zu beantworten. Klar wurde aber auch, dass 2017 als so etwas wie ein Jahr der Weichenstellung bezeichnet werden kann.

Branchenorganisation

Erwartungsgemäß nutzte Dr. Hermann Onko Aeikens, BMEL-Staatssekretär, die Gelegenheit, vor so vielen Milchwirtschaftlern für die Bildung einer Branchenorganisation (BO) zu werben. Dabei zögerte der Politiker auch nicht, den großen Hammer hervorzuholen: bei den rot-grünen Agrarpolitikern herrsche eine Tendenz vor, im Marktkrisenfall Produktionsrechte entschädigungslos einzukassieren. Daher sollte die Branche besser proaktiv tätig werden. Bisher habe sich die Milchindustrie davor gedrückt, mit den Erzeugern darüber zu sprechen, wer im Falle des Falles um wieviel weniger liefern darf, sagte Aeikens. Später in der Diskussion schien Aeikens allerdings umzulenken: Diskussionen müssten natürlich molkereiindividuell erfolgen …

Winfried Meier, Geschäftsführer bei Arla Foods Deutschland, hielt in seinem Diskussionsbeitrag eine BO für überflüssig. Die Molkereien sollten sich selbst organisieren, die Prozeduren in einer BO seien zu komplex und überdies nicht vereinbar mit Marken- und Investitionspolitik der Molkereiunternehmen.

Dennoch sollte sich die deutsche Milchwirtschaft besser mit- und untereinander verständigen, forderte der neue DBV-Milchpräsident Karsten Schmal. Er sei bei einer Besuchsrunde in Molkereien überrascht davon gewesen, wie weit sich manche Unternehmensführung von den Bauern entfernt habe und wie wenig Molkereien miteinander sprechen. Die Wertschöpfung zwischen einzelnen Unternehmen erscheint Schmal zu weit gespreizt. Als Gefahr sieht Schmal bei einigen Unternehmen besonders die hohe Abhängigkeit vom Spotmarkt.

Die geltenden Andienungs- und Abnahmepflichten in den Milchkaufverträgen sieht Prof. Sebastian Hess, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, als überholt an. Diese Regelungen könnten allenfalls kleinere Schwankungen (saisonaler Art) abfedern, für eine großangelegte Expansion der Anlieferung seien sie ungeeignet. Hess zufolge kann dies nur gutgehen, wenn der Spotmarkt einigermaßen läuft, da die negativen Auswirkungen auf die Gesamtverwertung dann maskiert werden. Ab einer gewissen Mehranlieferung müssten andere Regelungen getroffen werden, wie bei FrieslandCampina, wo ein 90%iger Abzug gilt – diese Regelungen können aber nicht mehr im genossenschaftlichen Konsens gefunden werden.

Innovation und Export

Sehr kritisch äußerte sich Meier über das Innovationsverhalten der Branche. Kaum eine Molkerei sei fähig, in Marktkrisen ausreichend Innovationen zustande zu bringen. Dem Verbraucher Heumilch als Neuheit zu präsentieren, reiche wohl kaum aus, die Unternehmen müssten hier doch etwas mehr bieten. 2016 habe jedenfalls keine Molkerei Geld verdient, die Investitionen in Marken liefen auf Sparflamme. Meier sprach sich für eine weitere Molkereistrukturentwicklung in Deutschland aus, Arla Foods habe die Erfahrung gemacht, dass sich Krisen in gut konsolidierten Märkten besser managen lassen. Dort konnten die Milchpreise jedenfalls auf einem besseren Niveau als hierzulande gehalten werden, berichtete Meier.

Auch für das Drittlandsgeschäft sei die Branche mit Ausnahme von FrieslandCampina nicht ausreichend gut aufgestellt, sagte Meier. Arla Foods verbuche aktuell das größte Wachstum in Drittländermärkten. Sorge bereiten dem Molkereichef die Abgrenzungstendenzen in manche n Ländern, wie sie sich in gesetzlich vorgeschriebener Herkunftskennzeichnung für die Rohstoffe niederschlagen. Meier sparte dabei nicht mit Kritik am deutschen Landwirtschaftsminister, der gegen die französischen Praktiken nicht angegangen sei – diesen Vorwurf vermochte Aeikens in der Diskussion übrigens nicht ausreichend zu entkräften.

Hilfsmaßnahmen

Allgemein wurde auf dem Milchpolitischen Frühschoppen kritisiert, dass die verschiedenen Hilfszahlungen für die von der Marktkrise betroffenen Landwirte viel zu spät kamen. Hier wurde der mit 9 % relativ starke Rückgang der Milcherzeuger in Nordrhein-Westfalen als Negativbeispiel angeführt. Aeikens verteidigte den relativ späten Mittelfluss mit dem Hinweis auf die föderale Struktur der Bundesrepublik. Der Staat habe so schnell geholfen wie er konnte. Es sei überdies nicht selbstverständlich, dass die EU und der deutsche Staat Mittel in Milliardenhöhe bereitgestellt haben – dies sei vor allem der momentan guten Finanzlage in Deutschland zuzuschreiben. Dass es zum vermehrten Ausstieg von Milcherzeugern [tatsächlich gab es mit – 4,5 % bei den Erzeugern auch 2016 keinen Strukturbruch, wenn man die normale Ausscheiderate von 3 % p.a. als Referenz nimmt; Anm. d. Red.] kam, führte Aeikens auf die aus seiner Sicht zu großen Abstände bei den individuellen Milchpreisen zurück. Ob es bei einer weiteren Milchkrise wieder zu Hilfsmaßnahmen im genannten Volumen kommen wird, versah Aeikens ausdrücklich mit einem Fragezeichen.

 

 

 

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Artikel Molkerei-Industrie zum Milchpolitischen Frühschoppen 2017