Beim diesjährigen mittlerweile traditionellen Brüsseler-Milchgipfel des Milchindustrie-Verbandes stand das Thema „Milchpreisbildung in der Wertschöpfungskette: Regulierung versus Wettbewerb und Marktwirtschaft?“ im Fokus der Veranstaltung. Ein Thema das offenbar interessiert, der Saal war komplett ausgebucht.
© AlexanderLouvet Powershoots /vlnr.:Fabien Santini, Referatsleiter, Steuerung der Agrar- und Lebensmittelmärkte, GD AGRI, Europäische Kommission, Peter Stahl (Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes e.V.), Silke Gorißen, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Emilie Bourgoin, Group Director Public Affairs REWE Group, Dr. Hauke T. Tergast, Thünen-Institut für Betriebswirtschaft Braunschweig, Elmar Hannen, Vizepräsident European Milk Board (EMB) Dr. Detlef Fechtner (Chefredakteur der Börsen-Zeitung und Moderator des Brüsseler Milchgipfels)
Gut 160 Gäste waren gekommen, um an der Podiumsdiskussion in der Landesvertretung Nordrheinwestfalens bei der EU in Brüssel teilzunehmen. Besonders lebhaft wurde dabei über den Artikel 148 diskutiert. Eigentlich sei allen klar, dass ein gesetzlicher Eingriff mit festen Preisen und Mengen sowohl Genossenschaften wie auch private Molkereiunternehmen eher kontraproduktiv gewertet wurde. Dadurch würde, so die Befürchtungen, nur ein Bürokratiemonster entstehen. Ein weiteres Thema war der kostendeckende Milchpreis. Dabei wurde relativ schnell deutlich, dass auch hier ein staatlicher Eingriff nichts bewirkt, zu unterschiedlich sei der regionale Milchpreis.
Silke Gorißen kritisierte, dass es der Bundesregierung an einem guten Austausch mit Verbänden und Akteuren aus der Landwirtschaft mangele. Die politischen Akteure müssen sich mit den Akteuren der Landwirtschaft an einen Tisch setzen. Denn momentan gebe es eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis und diese führe zu vielen falschen Entscheidungen. Ministerin Gorißen betonte, dass für die Landwirte vor allem die Rahmenbedingungen stimmen müssten, eine Einmischung in Preise und Verträge hingegen vehement abgelehnt würden.
Peter Stahl, Vorsitzender des MIV, stellte klar, dass es aus Sicht der Milchindustrie der Einsetzung des Art. 148 nicht bedarf. Es würde nicht die Position der Landwirte stärken, wenn Mengen und Preise vor der eigentlichen Lieferung festgelegt werden. Ganz ohne dieses Regelwerk habe die deutsche Molkereiwirtschaft 2022/23 den höchsten EU-Milchpreis ausbezahlt. Beispiele von nationalen Umsetzungen wie etwa in Frankreich, Spanien oder Italien zeigten nicht den gewünschten Erfolg, stellte Stahl fest, und eine EU-weite Harmonisierung, schaffe lediglich ein weiteres bürokratisches Monster. Das widerspreche dem Wunsch nach Bürokratieabbau. Dass Molkereien den Milchpreis niedrig halten wollten, um ihre eigenen Margen zu steigern, sei falsch, sagte Stahl. Die Unternehmen stehen im Wettbewerb um den Rohstoff, keine Molkerei hat Interesse an einer ständig angeheizten Preisdiskussion mit den Landwirten oder einer Diskussion über den Verlust an Rohstoff. Außerordentliche Margen hätten die deutschen Molkereien nicht vorzuweisen. Die Milchverarbeiter können immer nur auszahlen, was sie einnehmen. Und dabei spiele der Weltmarkt als auch der hochkonzentrierte Lebensmitteleinzelhandel mit seiner Marktmacht eine wesentliche Rolle. „Wir brauchen nun keine politischen Maßnahmen, um den Rohstoff in Deutschland zu halten, wir brauchen einen konstruktiven Dialog innerhalb der Branche.
© AlexanderLouvet | Silke Gorißen und Peter Stahl
Elmar Hannen, Vizepräsident European Milk Board (EMB) forderte kreative Lösungen, um mehr Transparenz herzustellen und die Produktionskosten entlang der Kette weiterzugeben. Aktuell sterben seiner Ansicht nach zu viele Betriebe, das schwarze-Peter-Spiel müsse beendet werden. Dazu müssen sich alle drei Parteien (Erzeuger, Verarbeiter und Handel) zusammensetzen.
Emilie Bourgoin, Group Director Public Affairs REWE Group, kritisierte die Diskussion um Menge, Dauer und Indikatoren werde nun schon seit mehreren Jahren erfolglos geführt. Jeder in der Kette müsse sein Geld verdienen können. Bourgoin bekräftigte, dass der Handel den Verbraucher im Blick haben, die heimischen Betriebe schützen sowie Fairness und langfristige Strukturen erhalten wolle. Sie plädierte für eine bessere Risikoverteilung entlang der Kette, indem z. B. existierende Indikatoren in Verträge eingebaut werden. Auch Export und Gastronomie müssten reguliert werden, damit 100 % der Milch abgedeckt ist. Aus diesem Grunde sei nämlich Egalim gescheitert.
Dr. Hauke T. Tergast, Thünen-Institut für Betriebswirtschaft Braunschweig, stellt klar, dass es die Aufgabe des Marktes sei, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, nicht aber für „faire“ kostendeckende Preise zu sorgen. Produktionskosten würden stark schwanken je nach Region, Produktionssystem und Betriebsstruktur, daher gäbe es nicht „den fairen Preis“. Bis zu 23 Cent Differenz habe Tergast bei den Milcherzeugern in Deutschland festgestellt. Außerdem sei es unmöglich Produktionszahlen und -kosten für das folgende Jahr vorherzusagen. Als Wissenschaftler sei es ihm nicht ersichtlich, wie der Artikel 148 zu höheren Milchpreisen führen solle, deshalb halte er es für besser, nicht in den Markt weiter hereinzuregulieren und den Markt, Markt sein zu lassen.
Fabien Santini, Referatsleiter, Steuerung der Agrar- und Lebensmittelmärkte, GD AGRI, Europäische Kommission, kündigte an, es gebe bereits viele Daten und Indizes, deren Darstellung und Zugang werde für alle Marktteilnehmer in Kürze verbessert werden. Seiner Ansicht nach sei es nicht die Frage, ob sondern eher wie der Artikel 148 genutzt werden solle. Dazu braucht es auf jeden Fall Verträge, doch wie die ausgestaltet werden, dass sei noch festzulegen. Der Vertreter der EU-Kommission wies darauf hin, dass der Preis nur ein Signal sei, welches aber nicht nur den Landwirt, sondern auch die nachgelagerten Stufen erreichen müssen.
Viele Teilnehmer machten deutlich, dass die Politik mehr mit den Akteuren reden muss, statt über sie zu reden. Die politischen Entscheider in Brüssel und in Deutschland hätten in einigen Punkten zu viel Abstand zu Realität. Allen war aber auch klar, die Kuh holen wir nur vom Eis mit einem sachlich und respektvoll geführten Dialog, an dem alle Beteiligten der Wertschöpfungskette um das so kostbare Produkt Milch konstruktiv teilnehmen. In der an die Gesprächsrunde anschließenden Empfang, wurde allen Gästen deutlich, die Diskussion um den Milchpreis werde uns alle in Zukunft weiter beschäftigen.